Page 3 - GA 123 Dezember 2019 - Februar 2020
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 lange, und nun, am Ende eines langen Weges, begegnet er mir er­ neut – welch Überraschung! Ich betrachte dieses Wort heute jedoch mehr als damals als ein Gnadenwort; denn es zeigt mir etwas von der gottgewollten Freiheit, Mensch bleiben zu dürfen, mal voller Glaubenskraft, mal von suchendem Fragen erfüllt oder von plötzlichem Zweifel betroffen. Das erinnert mich daran, dass niemand vor Gott vollkommen dastehen muss. Denn so wie ich bin, so wie wir sind, ganz und gar menschlich, so wollte und will uns Gott und so und nicht anders sollen und dürfen wir vor ihm stehen. Es adelt uns also geradezu, wenn wir ganz bewusst unvollkommen bleiben, und es macht uns eher unmenschlich, wenn wir lieber perfekt sein wollen, immerzu stark, fit, großartig. Das wahre Mensch­ sein erfüllt sich gerade in unserer Unvollkommenheit, also darin, dass wir ganz menschlich sind.
Umso mehr hat es mich immer geschmerzt, wenn ausgerechnet von der Kirche verlangt wurde, stets fehler- und makellos zu sein. Wie oft habe ich es erlebt, dass der Kirche wegen dieses oder jenes
kleineren, größeren oder auch großen Versagens einzelner schnell, pauschal, unbarmherzig und eiskalt jedes Existenzrecht abgesprochen wurde, oder wenn Pfarrer und Pfarrerinnen öffentlich und pau­ schal abgekanzelt und Menschen ihres Glaubens wegen belächelt oder gar verachtet wurden!
Aber manche aus unserer Gemeinde werden sich vielleicht daran er­ innern, dass ich hier und da beim Aufwiedersehensagen nach einer Veranstaltung mit einem kleinen Augenzwinkern gerne ausgerufen habe: »Also, macht’s gut, und seid schön brav – aber übertreibt es nicht!« Oder beim Begrüßen in froher Runde: »Na, da sind wir ja wieder alle beisammen, die Schönen und Guten!« Dass wir mit augenzwinkerndem Humor über unsere eigenen Unvoll­ kommenheiten amüsiert lachen können statt uns in ständiger Selbstanklage zu zerfleischen, das halte ich sowohl für eine wesentliche Glaubensvoraussetzung als auch für eine der besten Früchte des Glaubens. Denn Glaube ist kein Marathon frommer Spitzenleistungen, sondern beruht auf der schlichten Erfahrung: »Vor
Dir, Gott, bin ich Mensch, hier darf ich’s sein! So hilf mir, dass ich’s auch werde.« Seien und bleiben wir in diesem Sinn also gelassen und tun wir mit Gottes Hilfe einfach das, was uns möglich ist, nicht mehr und nicht weniger.
Ja, liebe Gemeinde, das ist nun ein recht persönliches Glaubensbekenntnis, ganz bescheiden gemeint und ohne höheren Anspruch; aber ich möchte Ihnen gerade diesen Gedanken ger­ ne hinterlassen, nun da meine Frau und ich uns – hoffentlich in aller »Ruhe«, nämlich gesund und bei Kräften – auf den Weg ins Alter begeben.
Wir waren gerne hier, und es war ein Segen, einer solchen Gemeinde begegnet zu sein, so vielen freundlichen Menschen, die uns of­ fen empfangen haben und stets so sein ließen, wie wir halt nun einmal sind. Großen Dank für so vieles! Wir gehen reich beschenkt.
Herzlich
Ihr / Euer
Rainer Schulz mit Ehefrau Christa
 Leutershausen + Jochsberg
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Im Kindergarten immer dabei: der allseits beliebte „Kleine Pfarrer“






















































































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